Bericht vom IX. Internationalen Symposium zum Sjögren-Syndrom in Washington D.C. 27.4. bis 29.4.2006
Dr. med. Christian Tomiak Reha-Zentrum Bad Aibling Deutsche Rentenversicherung Bund Rheumazentrum AHB Kolbermoorer Str. 56
83043 Bad Aibling
Organisation und Ablauf
Vom 27. bis zum 29. April 2006 fand in Washington DC das IX. Internationale Sjögren-Symposium statt. Zahlreiche Teilnehmer aus annähernd 300 Ländern aller Kontinente waren als Vortragende, Posterpräsentierende und Besucher vertreten. Als Chairman fungierte Philip C. Fox, Ehrenpräsidenten waren die Rheumatologen Norman Talal aus New York und Rolf Manthorpe aus Malmö. Norman Talal fungierte als Präsident des II. Internationalen Symposium im Austin/Texas 1988. Rolf Manthorpe hatte 1986 gemeinsam mit Henrik Sjögren das I. Symposium organisiert und geleitet. Die Sjögren-Syndrome-Foundation ist mit ihren 7 hauptamtlichen Mitarbeitern unter dem Vorsitz von Steven Taylor wesentlich für den organisatorischen Ablauf verantwortlich gewesen.
Wissenschaftliches Programm
Krankheitsursachen
Die Ursachen des Sjögren-Syndroms sind weiterhin nicht geklärt. Durch vielfältige Grundlagenforschung werden zahlreiche Befunde erhoben. Die genetische Veranlagung spielt eine zentrale Rolle, d.h. bestimmte Gene begünstigen den Ausbruch der Erkrankung und beeinflussen möglicherweise, wie schwerwiegend sie verläuft. Durch neue Techniken und die Fülle an Informationen, die durch die Entschlüsselung des menschlichen Erbmaterials zur Verfügung stehen, erhofft man sich weitere Fortschritte auf dem Gebiet der genetischen Forschung.
Unklar ist weiterhin, wie es zu der Fehlsteuerung (Irritation) des Immunsystems kommt, welche die autoimmune gegen den eigenen Körper gerichtete Entzündung verursacht und (chronisch) schließlich aufrechterhält. Denn: die normale Abwehrreaktion des Immunsystems ist eigentlich zeitlich beschränkt auf die Bekämpfung von gefährlichen "Fremdstoffen". Als solche "Fremdstoffe" werden Viren (z.B. Coxackie-Viren) diskutiert, die zunächst eine normale Immunreaktion hervorrufen, die im Verlauf in eine Autoimmunreaktion übergeht und dann auf Dauer (chronisch) aufrechterhalten wird. Viele Befunde sprechen dafür, dass an dieser "Aufrechterhaltung" zahlreiche Komponenten des angeborenen und erworbenen Immunsystems beteiligt sind. Dabei scheinen die B- und T-Lymphzellen eine zentrale Rolle zu spielen.
Die Immunzellen bilden zahlreiche Botenstoffe (sog. Cytokine und Chemokine), die an Rezeptoreiweißmoleküle anderer Zellen ankoppeln und in der Folge die Aktivität dieser Zellen steigern, aber auch bremsen können. Je mehr solcher Stoffe entdeckt werden, umso deutlicher wird, wie komplex das Immunsystem reguliert und vernetzt ist. Bei Betroffenen sind einige Botenstoffe erhöht messbar, was zu einer erhöhten und verlängerten Aktivität gegen körpereigene Substanzen führen könnte. Durch diese Grundlagenforschung ergeben sich zunehmend therapeutische Möglichkeiten wie Medikamente, die wichtige Botenstoffe neutralisieren oder Rezeptoreiweißmoleküle blockieren. Die Hoffnung, damit die Krankheitsaktivität beim Sjögren-Syndrom verringern zu können, konnte bisher nur teilweise bestätigt werden. Allerdings sind diese Medikamente im Alltag noch nicht flächendeckend verfügbar und nicht ausreichend erforscht. Versuchsweise werden sie derzeit bei schweren Krankheitsverläufen wie z.B. einer sehr seltenen schwerwiegenden Beteiligung des Nervensystems mit Querschnittslähmung eingesetzt (z.B. Rituximab). Bei unproblematischen Krankheitsverläufen ohne lebensgefährliche Organbeteiligung sind diese Pharmaka nicht notwendig! Ein abschließendes Urteil ist erst in einigen Jahren möglich, wenn in Studien genügend Patienten behandelt wurden. Evtl. könnten sich α-Interferon-Lutschtabletten hilfreich erweisen. In einer größeren Studie konnte gezeigt werden, dass 3 x 150 mg täglich die Mundtrockenheit lindern. Das Medikament steht jedoch noch nicht für die Behandlung von Patienten zur Verfügung.
Forschungsregister Prof. John Greenspan verwies auf die Internetseite http://sicca.ucsf.edu und forderte die anwesenden Wissenschaftler auf, von ihnen entwickelte Ideen an das Komitee heranzutragen. Es wurde Unterstützung zugesagt, Forschungsmittel und Daten- sowie biologisches Material von Patienten zur Verfügung zu stellen. Prof. Greenspan gehört zu einem Kollegium unter dem Vorsitz von Prof. Troy Daniels, welches das International Sjögren#s Syndrome Registry and Repository (USA) eine Forschungsdatenbank betreut. Ein vergleichbares Register existiert in Großbritannien und Schweden.
Ein Problem bei der Erforschung des Sjögren-Syndroms sind immer noch nicht einheitlich verwendete Klassifikationskriterien. Darüber hinaus hat man sich bisher noch nicht auf ein international vergleichbares Instrumentarium geeinigt, mit dem Krankheitsaktivität und Therapieansprechen bewertet werden können. Dadurch sind Studienergebnisse teilweise eingeschränkt vergleichbar. International besetzte Gremien versuchen hier allgemein akzeptierte Lösungen zu vereinbaren.
Langzeitverlauf und Lymphomrisiko
Verlauf
Das erhöhte Risiko für Patienten mit einem primären Sjögren-Syndrom, an einem Non-Hodgkin-Lymphom zu erkranken, ist unumstritten. Betroffene mit einem sekundären Sjögren-Syndrom haben dieses Risiko nicht. Wie hoch das Risiko ist, ist nicht klar (16 fach bis 48 fach im Vergleich zur Normalbevölkerung). Dieses Risiko betrifft jedoch nur 5 bis 10% der Patient(inn)en, d.h. 90 bis 95% erkranken nie im Verlauf ihres Lebens an einem Lymphom. Risikofaktoren wie eine frühe Organbeteiligung, eine Gefäßentzündung der Haut (Vaskulitis) und erniedrigte Zahlen von Komplementfaktoren oder Lymphzellen wurden identifiziert. Die Forscher empfehlen, dass sich Patienten mit Risikofaktoren einer vierteljährlichen Vorsorguntersuchung (Anamnese, körperliche Untersuchung, Ultraschall von Bauch und Hals, Blutuntersuchungen, jährliche Lungenröntgenaufnahme) unterziehen sollen, wobei nicht untersucht ist, wie zuverlässig und effektiv ein solches Vorgehen ist.
Stefano Fedele, ein jetzt in London arbeitender neapolitanischer Zahnarzt, stellte Ergebnisse eines Projekts vor. Unter dem Namen "GenNarino" (abgeleitet von der Bezeichnung neapolitanischer Straßenkinder im 2. Weltkrieg) wurde in Zusammenarbeit mit Ingenieuren ein Gerät minituriarisiert, welches Trigeminusnervenfasern am Unterkiefer (Position und Größe des Weisheitszahnes) stimuliert und damit den Speichelfluss anregt. Die Größe und Verankerungstechnik des Stimulators entspricht Zahnimplantaten. Mittels einer Fernbedienung kann es aktiviert werden. Für welche Patientengruppe das Gerät in Frage kommt, bleibt jedoch abzuwarten. Denkbar wäre es z.B., Patienten, die Medikamente wie Pilocarpinhydrochlorid (Salagen®) oder Cevimeline (Evoxac) nicht tolerieren, aber noch über eine erhaltene Drüsenfunktion verfügen, damit zu versorgen. Ein "Feuchtigkeitssensor" zur automatischen Aktivierung des Stimulators sah S. Fedele als eine Option, die Apparatur technisch weiterzuentwickeln und anwenderfreundlich zu gestalten.
Zusammenfassend ist der "große Durchbruch" bei der Erforschung der Ursachen und möglichen Therapien des Sjögren-Syndroms bisher nicht gelungen. In den letzten 15 Jahren scheint die Erkrankung jedoch zunehmend das Interesse von Forschungsgruppen zu erregen, die sich mit den unterschiedlichen Aspekten intensiv und umfassend beschäftigen. Die vielfältigen Aktivitäten nähren die Hoffnung, dass der lange vernachlässigten Erkrankung in den nächsten Jahren mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden wird.